BLOG von Rechtsanwalt Tom Hanke
Ein Priester als Kronzeuge, 10 Kilo Gras und die Besonderheiten des § 41 StGB
- Beitrag vom 27.10.2022 -
Anno 2019 ging ein Fall durch die Medien, in welchem ein Pfarrer in Chemnitz wegen Drogenhandels zu einer Freiheitsstrafe von 2,5 Jahren verurteilt wurde:
https://www.sonntag-sachsen.de/urteil-gegen-chemnitzer-pfarrer-bestaetigt
Mein Mandant stand in dem Verdacht, mit eben diesem Pfarrer Marihuana im Kilobereich gehandelt zu haben. Es ging hierbei um einen Tatzeitraum von 2018 - 2020. Wesentliches Beweismittel waren sog. TKÜs, also das Abhören von Telefongesprächen zwischen den Beteiligten sowie eine Vielzahl von WA-Chats. Zudem stand der bereits in einem separaten Verfahren verurteilte Pfarrer als Zeuge zur Verfügung.
Nach Anklageerhebung im Juli 2020 gab es einen sog. Erörterungstermin, in welchem aufgrund des großen Verfahrensumfangs zunächst gedanklich durchgespielt wurde, wie ein solches Verfahren laufen kann - also streitig oder evtl. in Form einer Verständigung. Nach zähem Ringen wurde durch die Beteiligten in Erwägung gezogen, einen Teil der Vorwürfe in der späteren Hauptverhandlung einzustellen und eine Gesamtsstrafe im Bereich von 2 Jahren 4 Monaten bis zu maximal 3 Jahren zu bilden. Also in einem Bereich, der grundsätzlich nicht mehr bewährungsfähig ist.
Zwischen dem Erörterungstermin und der Hauotverhandlung lagen dann noch einmal 13 Monate, in denen ich meinen Fachanwaltskurs absolvierte. Dort lernte ich die besondere Anwendbarkeit des § 41 StGB (Geldstrafe neben Freiheistrafe) kennen, wonach ausnahmsweise auch eine Haftstrafe vermieden werden kann, indem man eine nicht mehr bewährungsfähige Strafe aufteilt in eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren (mit Bewährung) und den darüber hinaus gehenden Rest (in diesem Fall also 4 Monate - 12 Monate) in eine Geldstrafe "umwandelt", was jedoch nur unter ganz engen Voraussetzungen möglich ist.
Hierzu suchte ich ca. 2 Wochen vor dem Termin BGH-Rechtsprechung (5 StR 604/98, Urteil vom 20.04.1999) heraus und erläuterte dem Gericht und der Staatsanwaltschaft, dass die enteprechenden Voraussetzungen auch hier vorliegen. Im Termin erfolgte dann ein relativ kurzes Rechtsgespräch, indem ich zu meiner Verwunderung Dankbarkeit bei Staatsanwaltschaft und dem Vorsitzenden des Jugendschöffengerichts erfuhr und auf offene Ohren stieß. Da mein Mandant bislang strafrechtlich ein unbeschriebenes Blatt war, verheiratet und in Vollzeit erwerbstätig, wollte keiner der Beteiligten ihn im Gefängnis sehen. Das einzige Problem zuvor war, dass keiner wusste, dass § 41 StGB entsprechend anwendbar ist, sofern der Täter sich durch die Tat "bereichert" hat.
Mein Mandant erhielt eine Jugendstrafe von 2 Jahren, ausgesetzt zur Bewährung und eine Geldstrafe in Höhe von 180 Tagessätzen. Ob die entsprechende Anwendbarkeit von § 41 StGB im Verfahren gegen den Pfarrer bekannt war, ist nicht bekannt. Die Verhängung einer unbedingten Freiheitsstrafe spricht jedoch dagegen.
Die bockige Richterin
- Beitrag vom 04.11.2021 -
Der Fall liegt schon eine ganze Weile zurück und begann im September 2019. Mich suchte ein Mandant auf, dessen vormaliger Verteidiger zwischenzeitlich verstorben war. Der Mandant legte mir einen Strafbefehl vor, in welchem ihm zur Last gelegt wurde, im April 2018 an einer Tankstelle Pflastersteine auf vorbeifahrende PKW geworfen zu haben. Zudem hatte er einen Klinikbericht dabei, aus welchem sich ergab, dass er genau am Tag des Vorfalls aufgrund einer akuten Psychose in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wurde – immerhin für einen Zeitraum von 6 Wochen. Anhand der mir vorgelegten Unterlagen konnte ich davon ausgehen, dass seine Fähigkeit, sich selbst zu verteidigen, eingeschränkt sein könnte, weshalb ich umgehend beim zuständigen Amtsgericht meine Beiordnung als Pflichtverteidiger gemäß § 140 Abs. 2 StPO („wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann“) sowie Akteneinsicht beantragt habe.
Nachdem das Amtsgericht sodann um Übersendung einer ärztlichen Schweigepflichtentbindung zwecks Aufklärung des (aktuellen) Gesundheitszustandes gebeten hatte, welche durch meinen Mandanten auch erteilt wurde, bat ich das Gericht sodann Mitte November 2019, über meinen Beiordnungsantrag innerhalb einer zweiwöchigen Frist zu entscheiden. Die zuständige Amtsrichterin schrieb dann ca. einen Monat später zurück, dass sie erwäge, die zuständige Hausärztin im Hauptverhandlungstermin zu hören (ein solcher war zu dieser Zeit noch gar nicht bestimmt). In diesem Termin sei dann auch über den Beiordnungsantrag zu entscheiden.
Als Reaktion hierauf wies ich die Richterin mit Schriftsatz Mitte Dezember 2019 in aller Ausführlichkeit darauf hin, dass
„(…) es (…) völlig irrelevant (ist), ob der Angeklagte aktuell noch wegen Schizophrenie in Behandlung ist. Entscheidend ist allein, dass der Angeklagte gemäß § 20 StGB zum Tatzeitpunkt („wer bei Begehung der Tat“) mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht schuldfähig war. Hierfür spricht bereits der Akteninhalt auf Bl. 30 ff. Laut Kurzbericht des Helios XXX- Klinikums vom xx..2018 wxx2018 war der Angeklagte immerhin vom xx.04.2018 – xx.05.2018 in stationärer psychiatrischer Behandlung wegen paranoider Schizophrenie.
Im Behandlungsbericht des Klinikums vom xx.05.2018 heißt es konkret:
„Die Einweisung erfolgte durch die Polizei und den Rettungsdienst wegen akuter Fremdgefährdung (…) Im Vorfeld habe er im Straßenverkehr randaliert, mit Steinen auf Autos geworfen und vermutlich einen Verkehrsunfall verursacht. Im Anschluss daran sei er bei Eintreffen der Polizei zunehmend gereizt und fremdaggressiv geworden, sodass die Einweisung zu uns mit Schutzfixierung erfolgte.“
Mein Mandant ist mithin nicht in der Lage, sich effektiv selbst zu verteidigen.
Eine Pflichtverteidigerbestellung nach § 140 Abs. 2 StPO wegen Unfähigkeit zur Selbstverteidigung ist schon dann notwendig, wenn an der Fähigkeit zur Selbstverteidigung (nur) erhebliche Zweifel bestehen (OLG Nürnberg, Beschl. v. 2. 5. 2014 - 1 St OLG Ss 43/2013; LG Berlin, Beschl. v. 14.12.2015 – 534 Qs 142/15). Die Verteidigungsfähigkeit des Angeklagten richtet sich nach seinen geistigen Fähigkeiten, seinem Gesundheitszustand und den sonstigen Umständen des Falles.
Wie sich aus dem als Anlage A1 beigefügten Behandlungsbericht des Helios Park-Klinikums Leipzig ergibt, war mein Mandant unmittelbar nach der vorgeworfenen Tat mehrere Wochen stationär in psychiatrischer Behandlung. Er leidet an paranoider Schizophrenie. Damit sind nicht unerhebliche Zweifel bzgl. der Verteidigungsfähigkeit meines Mandanten gegeben.
Hierauf wurde bereits mit Beiordnungsantrag vom 10.09.2019 in aller Ausführlichkeit hingewiesen.
Rein vorsorglich wird noch auf die Kommentierung in Fischer-StGB, § 140 Rn. 26a, verwiesen, wonach eine schwierige Sachlage gegeben ist, wenn die Schuldfähigkeit des Angeklagten zu prüfen ist.
Die Staatsanwaltschaft ist einer Beiordnung nicht entgegen getreten (Bl. xxx Rückseite).
Eine Beiordnung ist bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt gemäß §§ 140 Abs. 2, 141 Abs. 2 StPO notwendig. Eine Beiordnung erst im Rahmen der Hauptverhandlung ist unzulässig und verstößt gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens.
Der entsprechenden Verbescheidung wird nunmehr bis spätestens zum 30.12.2019 entgegen gesehen.“
Um wirklich auf Nummer sicher zu gehen, beantragte ich schließlich noch die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, dass mein Mandant zum Tatzeitpunkt nicht schuldfähig war, also die Voraussetzungen des § 20 StGB vorlagen.
Nachdem im Januar 2020 immer noch nicht über meinen Beiordnungsantrag aus September 2019 entschieden wurde, legte ich Untätigkeitsbeschwerde ein. Dies führte dann immerhin zeitnah zu einem Ablehnungsbeschluss, in welchem – auf den Punkt gebracht - die Beiordnung mit dem fadenscheinigen Argument abgelehnt wurde, dass Schizophrenie keine Erkrankung sei, durch welche die Verteidigungsfähigkeit zwingend eingeschränkt sei.
Meine hiergegen eingelegte Beschwerde zum Landgericht Leipzig führte dann dazu, dass der (aus meiner Sicht völlig willkürliche) Beschluss (hierzu sogleich mehr) aufgehoben und ich nunmehr endlich beigeordnet wurde. Das Landgericht folgte meiner Argumentation und sah nach Aktenlage aufgrund des verwirrten Eindrucks meines Mandanten ggü. den Polizeibeamten eine schwierige Sachlage gemäß § 140 Abs. 2 StPO gegeben. U.a. führte es aus:
„Überdies kommt es nicht auf den aktuellen Eindruck des Gesundheitszustandes des Angeklagten zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung an, denn die Frage der Schuldfähigkeit ist für den Zeitpunkt der Tatbegehung zu stellen.“
Rückblickend lässt sich die Ablehnung des Beiordnungsantrages wohl eher mit persönlichen Befindlichkeiten der zuständigen Strafrichterin (damals noch Proberichterin) erklären, da ich mehrere Verfahren im Vorfeld bei dieser Richterin laufen hatte und es in einem anderen Verfahren zu einer Situation kam, in welcher ein Prozesshindernis zutage trat, die Richterin aber kein Einstellungsurteil in der Verhandlung machen wollte (wie dies § 260 Abs. 3 StPO vorsieht:
(3) Die Einstellung des Verfahrens ist im Urteil auszusprechen, wenn ein Verfahrenshindernis besteht.),
sondern „im Beschlusswege“ entscheiden wollte und die Verhandlung beendete. Als ich daraufhin zusammen mit der Staatsanwältin in das Büro der Richterin ging, um ihr zu verdeutlichen, dass sie doch bitte, wie es auch im Gesetz steht, nun ein Urteil sprechen möge, kam sie dem widerwillig nach und sprach meinen Mandanten zähneknirschend frei. Was jedoch offensichtlich bei der Richterin zurückblieb, war das (aus meiner Sicht ungerechtfertigte) Gefühl, „vorgeführt“ worden zu sein. Ab diesem Zeitpunkt war ich für die Dame offensichtlich ein „rotes Tuch“.
Wie auch immer die persönliche Meinung über andere Personen ausfällt, sie sollte niemals dazu führen, dass sachfremde Erwägungen – zumal zu Lasten des Angeklagten - die richterliche Unvoreingenommenheit beeinträchtigen.
Nun, wie ging die spätere Verhandlung aus? Die Richterin war später für den Fall nicht mehr zuständig. Eine andere Proberichterin nahm sich des Falles (ergebnisoffen und unvoreingenommen) an, beauftrage einen psychiatrischen Sachverständigen, welcher dann in der Verhandlung zu dem Schluss kam, dass der Mandant tatsächlich nicht mehr steuerungs- und einsichtsfähig war.
Mein Mandant wurde freigesprochen.
Generalstaatsanwaltschaft weist untätige Staatsanwaltschaft Zwickau an, Ermittlungen wegen Wahlplakaten einer rechtsextremen Partei mit dem Slogan "Hängt die Grünen!" zu führen
Im Fall der Wahlplakate mit dem Slogan "Hängt die Grünen!" von der rechtsextremen Splitterpartei "III. Weg" in Zwickau sah die Generalstaatsanwaltschaft Dresden nun Handlungsbedarf. Die Staatsanwaltschaft Zwickau wurde angewiesen, die Ermittlungen wegen des Anfangsverdachts der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten und der Volksverhetzung aufzunehmen.
Die Staatsanwaltschaft Zwickau hatte zunächst die Ermittlungen mangels Anfangsverdachts abgelehnt. Daraufhin hatte die Stadt Zwickau die werbende Partei per Verfügung aufgefordert, die Plakate zu entfernen. Laut Auffassung der Stadt Zwickau stellten diese einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung und gegen die Menschenwürde dar.
Die Grünen hatten Anzeige wegen des Slogans erstattet und angekündigt, auch in Leipzig, Nordsachsen und im Vogtland mit Anzeigen gegen die Plakate vorgehen zu wollen.
Sachsens Justizministerin Katja Meier (Grüne) hatte angemahnt, dass ein solcher "Hassaufruf" in der freiheitlich-demokratischen Ordnung kein Mittel des Wahlkampfs sein dürfe. Die Plakate zeugten von zynischer Menschenverachtung und überschritten die Grenzen des politischen Meinungsdiskurses. "Für die Beurteilung der strafrechtlichen Relevanz sind die sächsischen Staatsanwaltschaften zuständig. Wir haben einen Bericht zur rechtlichen Bewertung bei der Generalstaatsanwaltschaft angefordert", sagte Meier.
Der "III. Weg" hatte den Slogan laut Persseberichten auch in München plakatiert. Dort reagierte die Polizei schneller und stellte die Plakate umgehend sicher.
Texte: RA Tom Hanke